„Ganz schön läng, dä Grat!“ bemerkt Luzi, der Hüttenwart, als wir wieder bei der Weisshornhütte anlangen. Und um den Braten so richtig feiss zu machen, laufen wir nach ner stündigen Stärkung gleich noch nach Randa runter – was die Bürokraten- und Statistikerseite meiner Seele speziell erfreut, denn wir haben nicht nur die geplanten Hüttenaufenthalte eingehalten, sondern auch den Rückreisetag. Soviel zum Abstrakten.
Sonntag: ich erhole mich immer noch und geniesse auf der Kautsch vor der Glotze, wie sich die Cracks der Tour de France nach Verbier hoch strampeln, bevor ich in die Tasten haue. Diesmal waren wir in der richtigen Mannschaft – zusammen mit Petrus! Soviel zum Sportlichen.
Aber lasst uns nun aufbrechen zu den Gemächern der schönen Königin:
Topalihütte
12.07.
Schon viele male habe ich auf der Rückreise von genüsslichen oder auch verrückten Touren die orografisch linke Flanke des Mattertals bestaunt, aber noch nie bin ich zwischen Stalden und Randa dort hochgestiegen. Nun ist es so weit (für Statistiker: das gehörte zur Planung).
Ze Schwidernu beginnt der Weg zu steigen und das hört nicht mehr auf bis zum Sandboden des unteren Stelligletschers. Hier wimmelt es von urigen „Schafgeissen“. Zur Freude des Bürokraten: sie sind genau in der Körpermitte in schwarz-weiss geteilt!
Nun nur noch müde 200m hoch zur Hütte. Wir schwitzen nicht mehr. Nein, nicht weil es hier oben kühler ist, unsere Körper enthalten kein Wasser mehr!
Brünegghorn NE-Grat
13.07.
Früh verlassen wir die wunderschön-hell-geräumige Topalihütte und segeln unter Toplicht durch Geröllwüsten dem listigen Band entgegen (neuer Weg zum Bruneggjoch, um den Abberggletscherbruch zu überlisten). Petrus veranstaltet mit der Morgensonne ein kleines Feuerwerk (Morgenrot, abends...). Ich kann mir darob aber keine Sorgen machen, denn hinter dem Brüneggjoch ragt sie auf, gewaltig und schrecklich schön, die Königin! Wenn ich da an unser Programm denke, fühl ich mich winzig klein und elend. Und ich Dubbel hab das auch noch selbst verbrochen.
Das wunderschöne Grätchen vertreibt etwas meine bedrückt-deprimierte Stimmung. Wir steigen im Windschatten, es ist warm. Oben dann kommt der Wind und wir verziehen uns ins Skidepot zur Vesper. Herrliche Tiefblicke über die Ostwand in den Talboden und auf den grossen Bruch des Bisgletschers. Dani und die Andern spotten bereits auf meine „Alternative 1“ (siehe PDF im Tourenprogramm) und ich bin froh, dass wir erst mal einen leichten, wenn auch längeren Abstieg vor uns haben. In einer Gletschermulde üben wir noch etwas Flaschenzüge. Der Österreicher gelingt besonders gut, da ein entsprechender Landsmann (Peter) zu unserer Gruppe zählt.
Die Turtmannhütte ist fast voll und der Hüttenwart freut sich über unsern grossen Appetit.
Bishorn NE- und E-Grat
14.07.
Da wir heuer in der Mannschaft von Petrus spielen, brauchen wir uns übers Wetter keine weiteren Gedanken zu machen (nur zur Verunsicherung wird weiterhin das Händi und das Eifon konsultiert) und wieder geht’s mit Vollzeug und Toplicht dem Bisjoch entgegen.
Der NE- und E-Grat, ein Bijoux der Geometrie (und somit auch der Bürokraten). Ebenmässig mit 45° zieht die Linie im unteren, felsigen Teil in die Höhe. Ebenmässig sind die angrenzenden Flanken, ebenso gleichmässig schlecht ist der Fels, aber wenigstens günstig geschichtet – eine Treppe! Wir steigen gut. Nun folgt der flache Abschnitt im Firn. Unter aufgeweichter Auflage liegt mehr oder weniger Griess. Ich bekomme Fotoverbot – konzentriertes Gehen ist angesagt! Im steileren Schlussdrittel ist der Schnee z.T. etwas besser und wir sind froh um alle Felsköpfchen.
Schon seit einiger Zeit sind wir immer wieder von Nebelschwaden eingehüllt, so ist mir das Verbot egal. Auf dem Ostgipfel ist die Sicht wieder gut, aber der Wind... Im Sattel immer noch kein Windschatten, wir besuchen noch den Hauptgipfel und sind allein, die Heerscharen sind schon wieder unten. Die Königin hat sich gnädig mit Schleiern verhüllt, so dass uns der Anblick des schrecklichen N-Grates erspart bleibt, mir aber nicht die beklemmenden Gefühle.
Bei der Tracuithütte, wo wir so um 14.30h anlangen, haben wir Zeit. Strategiesitzung mit Dani: der heutige Grat, vier mal länger als gestern, war der Test (für Statistiker: auch geplant). Die Gruppe ist konditionell auf der Höhe, aber das reicht noch nicht für den N-Grat. Mit der Gewitterstörung, die heute Nacht durchziehen soll, sind die nötigen optimalen Bedingungen nicht mehr gewährleistet. Dani und ich beschliessen, morgen zur Weisshornhütte zu wechseln und am Donnerstag den „Normalweg“ auf die Königin zu versuchen. Grosse Zustimmung der Gruppe! Nun geniessen wir den restlichen Nachmittag und abends die ersten aufziehenden Gewitter.
Walliser Hüttenwegfestival
15.07.
Fast ausschlafen, Frühstück um Sechs. Es ist schon wieder am aufreissen. Aus dem Tal dampft es. Die Einen rüsten sich fürs Bishorn, wir packen unser Gerümpel für den „Spatziergang“ nach Zinal. Nach der Geröllwüste unterhalb der Hütte beginnts: Blumen über Blumen, die ganze Flora je üppiger, je weiter man runter kommt, passend zur Waschküche.
Von Sièrre bis Visp ist es düppig. Hier lässt der Fahrplan Zeit für ein Mittagessen. In Randa dann beginnts leicht zu tröpfeln. Die Einen steigen unterm Regenschirm, die Andern sagen sich: egal, ob nass von aussen oder von innen. Der Weisshornhüttenweg ist wunderschön, noch schöner wäre er mit Sandalen und nur einer Petflasche im Rucksäckchen.
Bald ist die ganze Mischabel sichtbar, es klart auf – wir sind schliesslich in der Mannschaft von Petrus.
Bei der Hütte angelangt, warnt uns Luzi, gleich käme der Heli. Und tatsächlich, das grosse Insekt brummt schnell aus dem Tal hoch. Jörg hat gerade noch Zeit, sein T-Shirt und sich in Sicherheit zu bringen, welche er auf dem Landeplatz ausgelegt hatte. Drei stramme zermatter Führer entsteigen dem Vogel. Man sagt, sie kämen vom Matterhorn – aber das war gestern!
Das Hüttchen ist äusserst gemütlich wie immer. Luzi, wenn man ihn ein wenig kennt, weit umgänglicher und freundlicher als in einem Bericht in hikr.org dargestellt und der Abend viel zu kurz – der Wecker steht auf 02.00h.
Weisshorn E-Grat
16.07.
Ruhige Aufbruchstimmung, keine Nervosität, die Spannung sitzt tief innen. Ein Blick zum Himmel – Sterne. Eben, in der richtigen Mannschaft!
Zu Beginn des kurligen Weges durch das Felsband, das die Firnrampe vom östlichsten Arm des Schaligletschers trennt, rauscht ein neckisches Bächlein über die Spur. Wir sind froh, ist das Miststück nicht gefroren. Die folgende Firnrampe kommt mir wieder unendlich vor, wie vor einem Jahr. Nur würde mir der damalige Verhauer in die plattigen Felsen rechts nicht mehr passieren und wir stehen unter der kundigen Führung von Dani.
Als wir die Schneeschulter traversieren und noch ca. 30m von dem Einstieg in die brüchige Rippe, die zum Frühstücksplatz hoch führt, entfernt sind, ertönen einige unverständliche Stimmen und ein hohles Kratzen über uns. Dann sehen wir sie runterholpern, eine Esstisch grosse Platte. In der Dämmerung hängt für einige Minuten noch eine graue Wolke über dem Einstieg. Stille – keine weiteren Steine, kein Stöhnen, keine Hilferufe. Wie üblich in solchen Momenten, gleich weiter. Bald stehen wir beim Steinmann über der Einstiegsverschneidung und eineinhalb Stunden später am Frühstücksplatz. Die erste wohlverdiente Pause.
Nun folgt der Lochmatterturm, wo es im Nachdruck des SAC-Führers Wallis 3 von 2004 noch heisst: „...und wenige können den Griff erreichen. Gelingt dies nicht, so muss man das Seil über einen vorstehenden Zacken werfen...“. Heute hängt dort eine Bandschlinge und ein Knotenstrick (2 BH).
Die Kletterei ist äusserst genüsslich und der Fels für Alpinisten von bester Qualität. Das Ganze wird immer wieder aufgelockert mit Balancepassagen über schuhbreit firnbedeckte, waagerechte Gratstellen von tollster Ausgesetztheit, die, schon leicht aufgeweicht und ohne Steigeisen, nicht unkitzlig sind. Wenn nur meine Zunge nicht so weit raushängen würde!
Kurz vor dem letzten Turm kommen uns die strammen zermatter Führer mit ihren Gästen im Abstieg entgegen. Immer wieder warten. Das kostet mindestens ne halbe Stunde. Als wir das erste Firnbödelchen auf ca. 4100m erreichen, ist es schon 10.00h. Dani setzt das Gipfellimit auf 11.00h. Jemand aus unserer Gruppe hat nun genug. Ich entscheide mich, mit abzusteigen, so dass wir nicht noch mehr Zeit verlieren, während die andern Vier den Schlussspurt in Angriff nehmen. Als wir den ersten Turm abgeklettert sind, jubiliert unsere Gruppe auf dem Gipfel.
Wir Zwei können uns nun etwas Zeit lassen, vor allem in den kitzligen Balancepassagen. Nach einigen weiteren Türmchen sehen wir unsere Freunde unter den Gipfelfelsen den steilen Firn absteigen.
Meine Spannung löst sich und ich beginne den Abstieg über diesen geilen Gratabschnitt zu geniessen, ebenso, im Gegensatz zu vor neun Jahren, die grässlichen Tiefblicke in die Nordwand des E-Grates, wo regelmässig Nassschneerutsche abfahren. Endlich Zeit zum föttele. Kurz bevor wir den Lochmatterturm erreichen, betreten die Andern den Felsteil.
Am Frühstücksplatz machen wir Rast, das Ärgste ist geschafft. Ich hatte nun vier Stunden Zeit zum Reflektieren, ob ich ein Weichei bin oder gar zu alt, dass ich nicht mit auf den Gipfel gegangen bin. Mir ist klar, dass mein Entscheid alpinistisch und für die Gruppe richtig war. Aber das löst noch nicht die Frage nach meinem fehlenden Schneid. Ich vertage die Antwort, noch sind wir nicht unten.
Oben an der Einstiegsverschneidung holt uns die Gruppe ein und wir beenden den Abstieg gemeinsam. Am Tisch draussen vor der Hütte stärken wir uns erst mal. Bald ist klar, dass die Mehrheit noch heute heimfahren will. Also steigen wir im schönsten Abendlicht den gutmütigen Weisshornhüttenweg nach Randa wieder runter und erreichen um 00.30h den Heimathafen Basel (...für den Statistiker, siehe oben).
Epilog
Ich bin mir bewusst, dass uns da was ganz Tolles gelungen ist (...in der Mannschaft von Petrus). Zu Beginn des Abstiegs von der Weisshornhütte laufen Dani und ich etwas hinter der Gruppe und diskutieren das Husarenstück. Wir freuen uns diebisch, dass wir mal wieder den SAC-üblichen Rahmen gehörig gesprengt haben. Das war natürlich nur möglich Dank der Mitarbeit der ganzen Gruppe. An dieser Stelle sei Allen gedankt. Für mich kommt so langsam die Zeit des Stöckli – eben, Sandalen und leichter Sack...
Je weiter weg der Firn der Grossen Weissen in der Sonne gleisst und flimmert, desto mehr scheinen sie das ewige Leben zu versprechen...
Dani Silbernagel (Guide), Andrea Hecker, Carole Treml, Jörg Kuhn, Peter Teibinger, Rolf Glauser (TL)
Text und Bildredaktion: Rolf Glauser
PS: da offenbar im Moment für den Bildtitel unendlich Platz besteht, aber vom Bildtext nur eineinhalb Zeilen gezeigt werden und mindestens ich gerne anschreibe, wer welches Foto verbrochen hat, hier soviel:
SONY DSC-W120: Dani Silbernagel
Canon DIGITAL IXUS 80 IS: Andrea Hecker
SONY DSC-W170: Peter Teibinger
NIKON COOLPIX P5100: Rolf Glauser
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