Im Aufenthaltsraum der Cap. del Forno, innen an der Westwand, hängt eine alte SW-Fotografie und ein Ölgemälde. Ein unscheinbarer Mann mit rundlichem Gesicht und Pfeife. Einer seiner „Lieblingsherren“, Theodor Curtius, hat die erste Fornohütte gestiftet und 1920 der Sektion Rohrschach geschenkt.
Ralf kennt den Mann auf den Bildern: Christian Klucker – der eigentliche Erschliesser des Bergells – und ein aussergewöhnlicher Bergsteiger und Guide. Wir sind nun in seinem „Homeland“.
* * *
28.4. Anreise
Dominik, der Tourenleiter, liegt an diesem Dienstag leider immer noch krank im Bett, aber hofft, am nächsten oder übernächsten Tag nachreisen zu können. Annemarie hat schon für die Tourenbesprechung seine Vertretung kompetent übernommen.
Alles ist wolkenverhangen, als wir abends das Posti in Maloya verlassen. Kulinarisch werden wir im Chesa Alpina jedoch bestens verwöhnt und nach dem Dessert kommen Christoph und ich noch zu einem Exklusivvortrag der Wirtin Claudia über das Lokalkolorit. Draussen schneit es suppenlöffelgrosse Flocken und nach der Besprechung des morgigen Tages sitzt Ralf vor dem Championsleage Viertelsfinal.
29.4. Piz l’Äla
30cm Neuschnee, der Winter ist zurück! An einen Hüttenaufstieg ist heute nicht zu denken, zumal es die Nacht davor in der Fornohütte schon 60cm abgeworfen hat. Durch schönste Neuschneelandschaft spazieren wir in der Sonne auf einen Skilifthubel namens Piz l’Äla. Der Tag gehört der Ausbildung.
Oben zwei Schneekeilchen, dann kurze Abfahrt in der Sorte Pulver, die uns diese Woche hartnäckig begleiten wird und zu guter Letzt das Apportieren mit den lustigen Hunden, wobei sich gezeigt hat, dass die Welpen die Mehrfachsuche wesentlich vereinfachen. Über den unplanmässigen Schaufeltest kann bei mir persönlich Auskunft erbeten werden, da wir hier keine Schleichwerbung machen.
Ich muss vor dem Essen noch kurz zur Tankstelle, Benzin holen (ein Petflaschen-Bodensatz=0.15Rp), um den Skibelag zu reinigen, die ct40-Nanomoleküle sind wohl etwas schlaff geworden.
Vom Krankenlager in Dornach sind inzwischen hoffnungsvolle Nachrichten eingetroffen: kein Fieber mehr und Nachreise wahrscheinlich Übermorgen.
Nach der zweiten Orgie im Chesa sind dann erste leise Klagen betreffs Verdauung zu vernehmen, indes Ralf und ich den zweiten Viertelsfinal gucken.
30.4. Hüttenanstieg
Val Forno. Nach Plan Camn reichen die älteren und auch ganz frischen Lawinenzüge beidseitig bis zur Talmitte. Ralf hat uns schon am Vorabend schlau gemacht, was wohl heute möglich und unmöglich sein wird, z.B. der Murettapass. Wir werden vom J+S Leiter II Kurs eingeholt, die nun eine ausgezeichnete Spur durch das ca. 50m hohe Moränenwändchen (40°) zur Hütte legen.
Wir legen erst mal überflüssiges Gepäck auf den Gletscher und steigen gegen den Passo Vazzeda hoch. Den höchsten Punkt haben wir durch den Chronometer festgelegt und mitten im Hang wird abgefellt für einige ansprechende Kurven im (noch) Pulver.
Wieder mit anstrengendem Gepäck nun hoch zur Hütte, die Spur ist vorbildlich, sogar mit geschaufelten Terassen für die nun nicht mehr so spitzen Kehren. Es klart wunderbar auf und von der Sonnenterasse können wir beobachten, wie Nassschneerutsche die so göttliche Spur zerstören.
Vis a vis stoltzt die Nordwand der Cima Rosso. Ich hab noch nie so viel Weiss an senkrechtem Granit gesehen. Fritz Loretan, der neue Hüttenwart, der sogar seine Tassen von der Fründen mit gezügelt hat, erzählt mir, die Westwand seines Gehäuses hätte gestern auch so ausgesehen. Zum Glück mussten wir das nicht mit unseren Lawinenschäufelchen bereinigen.
Vom dornacher Lazarett leider eher schlechte Nachrichten: der arme Dominik ist noch zu schwach, um morgen schon reisen zu können. Da fragt es sich, ob die Sache überhaupt noch lohnt. Annemarie und Ralf ziehen sich kurz zur Beratung zurück.
1.5. Monte Sissone
Das Wetter wird heute prächtig, klassische Frühlingsskitour. Aber der Start bei Nacht und gefrorener Schneeoberfläche... Und im Steilhang passierts dann. Ein Sturz in die Beine des sofort herbei fahrenden Ralf und nun rutschen beide das Eis runter bis ins Flache. Blaue Flecken, eine blutige Nase und eine verschobene Linse. Als der Puls gefallen und alles gesalbt und gerichtet ist, kann das Normalprogramm beginnen. Wir wandern noch im Schatten den flachen Gletscher hoch und runter kommt der kalte Wind. Einigen ist es zur Abwechslung mal nicht zu warm und das Jammern über Verdauung und das Klagen über schlechten Schlaf gefriert auf dem Weg vom Gehirn zum Kehlkopf.
Der gewiefte Taktiker Ralf hat den Nordhang zum Sissone auserkoren in der Hoffnung, dass entweder noch Pulver liegt oder gegen Mittag schönster Sulz unserer harren würde. Rundum im Fornokessel streben unsere angehenden J+S II Leitergruppen diversen Gipfeln zu. Auch am Sissone wurde ein hervorragendes Geländerseil installiert. Aber auf dem Gipfel stehen zu viele Blöcke rum, dass Seilschaften ohne Gnusch aneinander vorbei kommen und so überreiche ich Ralf meine Kamera für das obligate Panorama mit Disgrazia und verziehe mich schon mal mit meiner Gruppe.
Lagebeurteilung beim Skidepot: diejenigen vom Castello haben inzwischen im sonnigen Südhang hübsche Girlanden gezogen, die von der Cima Rosso dagegen eher skizzenhaft eckige Linien – das lässt nichts Gutes ahnen!
Und siehe da, ca. 100m unter dem Sattel beginnt das kuschelige Pülverchen zu deckeln – zuunterst am Hang beträgt die Dicke des Miststücks dann stattliche 4cm! Angeregt durch so viel Ausbildung rund um uns, lassen wir auch nichts anbrennen und die vordersten Drei pflügen versetzt mit etwa drei Kurven den ganzen Hang runter, während Nummer Vier die Schollen zerkleinert und der Rest unserer Truppe Piste gut vorfindet.
Auf dem flachen Gletscherstück hat der Deckel dann gehalten (und das die restlichen Tage) und entspanntes Gleiten bis zum bösen Hüttenanstieg hat den Tag gerettet.
Oben auf der Hütte meinte dann Jemand vom Kurs lapidar: ihr müsst halt unter dem Deckel fahren...
Unbemerkt während dem Nachtessen hat sich unter der Nordwand der Cima Rosso ein Schneebrett mit etwa 1m Abrisskante gelöst, bestehend aus all dem schönen Weiss, das ursprünglich an den senkrechten Felsen geklebt hat und dessen ct40-Moleküle wohl auch frühlingsmüde geworden sind. Sozusagen als zweites Dessert sind dann zwei Bergführer studienhalber dort noch abendspazieren gegangen.
Auch fast unbemerkt ist der Entscheid unseres Tourenleiters gefallen: es gehe ihm nun zwar wesentlich besser, aber leider einen Tag zu spät.
2.5. Cima di Castello
Wieder taktisch durchdacht stürzen wir uns heute nach dem Morgenkaffi bei erstem Tageslicht den gefürchteten Steilhang runter mit Ziel Cima dal Cantun und dem Hintergedanken, der Sonne genug Zeit zu lassen, uns für die Abfahrt den lange ersehnten Traumsulz zu bescheren. Aber Petrus lässt uns schmoren und hat eine Wolkengardine gezogen. Die Nacht war zu warm und der Tag bleibt zu kalt. Christoph hat wohl mit dem unzuverlässigen Kerl ein Spezialabkommen geschlossen, da er heute ausschlafen kann, um dann nach Amerika zu fliegen - immerhin nicht ferienhalber.
Trotz der depressionsartigen Stimmung steigen wir unverdrossen weiter. Ab und zu bricht die Sonne durch und je höher wir kommen, um so heftiger wird der Wind. Vor dem bösen Eck eine Rast im Windschatten einer Verwehung, nach dem nun etwas weniger bösen Eck beschliesst Ralf auf dem Passo dal Cantun, dass wir nun besser den Castello anzielen, da wir hier etwas Windschatten finden.
Auf der steilen, aber verschneiten Platte unter dem Gipfel noch mal kurz Skitragen, oben einige tolle Tiefblicke durch die Wolkenlöcher nach Italien, geile Kurzabfahrt mit fünf Bögen in echtem Pulver, wieder kleiner Aufstieg zum Kantonspass zurück, Abrutschen mit Geländerseil am bösen Eck, unglaubliche Lichtstimmungen, Deckelphase geht bald in mittelprächtigen Sulz und dann in tiefen Sulz über und zum Schluss das entspannte Gleiten auf dem flachen Gletscherteil – war das eine rassige Tour!.
Unter der Hütte sehen wir, dass das Wächtlein neben dem WC immer noch über der arg geschundenen Aufstiegsspur droht, was Jörg zum spontanen Ausruf verleitet, dass „das schnuckiputzlige Ding hoffentlich noch hängen bleiben möge, bis wir oben seien“ – was das Schätzelchen dann auch noch am andern Tag brav gemacht hat.
3.5. Monte Rosso
Zum Abschluss macht uns der feine Herr Petrus doch noch ein Geschenk. Nun findet sie statt, die klassische Frühlingstour. Unter wolkenlosem Himmel gleiten wir sozusagen dem Monte Rosso entgegen. Alles hart gefroren, ausser dem Gipfelgrat. Und Gloisi muss bis dahin hart kämpfen mit den Ersatzfellen. Ich bin glaub ich in meiner ganzen bescheidenen Skitourenkarriere noch nie unter dermassen komischen Verrenkungen gelaufen, um die ganze Fellfläche auf den harten Schnee zu bringen. Aber beim Skidepot ist die Quälerei zu Ende und fürs Schlussbouket bilden wir noch mal zwei schmucke Seilschaften.
Die Abfahrt dann ein Traum, oben noch hart, aber äusserst griffig und unten ein feines Schäumchen. Und bis Plan Camn dann schönstes Gleiten.
Grossen Dank, Ralf, für Deine umsichtige Führung und Annemarie, für das spontane Übernehmen der Tourenleitung und natürlich auch Dir, Dominik, für die Organisation dieser rassigen Skitourenwoche in Kluckers Bergen, auch wenn Du leider an der Ausführung nicht teilnehmen konntest.
Ralf Weber (Guide), Dominik Fischer (Tourenleiter, krankheitshalber nur aus der Ferne), Annemarie Bürgi (stellvertretende Tourenleiterin), Andrea Hecker, Carole Treml, Eveline Wyss Burnell, Christoph Zeller, Jörg Kuhn
Text und Bildredaktion: Rolf Glauser
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