Die anders geplante Woche fand im Unterwallis und nicht im Matschertal statt.
Sonntag
Obwohl die Vorbereitungen alles andere als einfach waren, der Vorwinter 2015/2016 war bis im Januar im ganzen Alpenraum ausgesprochen schneearm, gelang es mir, in einem der wenigen Gebiete in der Schweiz die mit Schnee gesegnet wurden, eine neue Unterkunft für unsere grosse Angensteiner Gruppe zu finden. Die ursprüngliche Planung, im Vintschgau im Glieshof, Matschertal Unterkunft zu beziehen, musste Anfang Januar mangels Schnee fallen gelassen werden. Denn auch die Langzeitprognosen zeigten keine schneebringende Wettersituation für diese Region an.
Nun aber trafen wir uns 9 Angensteiner am Sonntag mittag mit unserem Guide Thomas Bossert in La Fouly. Die gemütliche Reise mit ÖV gestaltete sich, trotz „Umweg“ durch den Lötschberg Basistunnel, wegen Bauarbeiten im Bahnhof Lausanne, sehr stressfrei, da die Züge wenig besetzt waren. Lediglich die Temperatur mit 11 Grad plus, welche im Postbus von Orsières als Aussentemperatur angegeben wurde, bereitete mir Sorgen. In Orsières praktisch noch braune Landschaft, änderte sich dies aber zügig, je weiter wir das Val Ferret hoch kamen. Auch die vermeintliche Regenfront entpuppte sich als Schneefall, als wir La Fouly entgegen fuhren. Wie sich der Schneefall jedoch mit der Aussentemperatur von immer noch 10 Grad auf der Anzeige des Postbusses vereinbaren liess, kann ich mir bis heute nicht erklären. Hauptsache war jedoch, dass wir mit unseren Tourenskiern nicht fehl am Platze waren, als wir in La Fouly ausstiegen und die paar Meter bis zu unserer Unterkunft im Hotel Edelweiss zurücklegten.
Nach kurzer Absprache mit Thomas und erfolgter Verpflegung, packten wir uns wasserdicht und die Lawinenausrüstung in unsere Rucksäcke ein. Einen kurzen Ruck mussten wir uns schon erteilen, um in den vom Winde gepeitschten Schneeregen hinaus zu stechen. Die anschliessende Verschüttetensuche, welche direkt in eine reale Lawinensituation eingebunden wurde, lehrte auch mich wieder Neues. Es geht nichts über regelmässiges, praxisorientiertes Üben. Dabei ist aber nicht nur das Barryvoxsuchen entscheidend, sondern auch eine gute Strategie und effizientes Schaufeln. Dieses sollten wir am folgenden Tag noch ausgiebig üben können.
Der anschliessende Abend verging, wie auch die restlichen Abende, wie im Flug, nachdem die Küchencrew des Hotels ihr mehrgängiges Nachtessen sehr speditiv serviert hatte.
Montag
Der Tag begann, wie der letzte geendet hatte: mit Sturmwinden und Schneeregen. Wobei auch in der Nacht, wegen der starken Winde, kaum eine Abkühlung und deshalb auch kaum Neuschnee zu registrieren war. Wir beschlossen, nach einem gemütlichen Morgenessen, eine ausführliche Tourenplanung mit einer Einführung in die Lawinenkunde, im Trockenen durch zu führen. Die ursprüngliche Idee mit dem Postbus talauswärts eine kleine Tour zu unternehmen, wurde wegen der hohen Schneefallgrenze beerdigt. Wir beschlossen, aus dem Montag einen weiteren Ausbildungstag zu machen. So verschoben wir uns von La Fouly westwärts in Richtung des markanten, ehemaligen Gletschervorfeldes des Glacier de l’ A Neuve. An einer markanten Wächte am Flussufer der Reuse de l’A Neuve fanden wir einen idealen Platz, um mehrere LVS zu vergraben und andererseits tief schaufeln zu können. Alles zusammen eine realistische und für uns alle sehr praktische Übung. Hatten doch viele von uns noch nie den Unterschied zwischen einem Stein, einer Schaufel, eines Rucksacks oder eines Körperteils mit der Lawinensonde erfahren. Auch das taktische Schaufeln mit der Raupenmethode veranschaulichte, wie wichtig der effiziente Einsatz der Schaufeln im Ernstfall ist. Ob all des Schaufelns, Suchens und Sondierens vergassen wir ganz den Schneeregen, der mittlerweile gänzlich in Schnee über gegangen war und den scharfen Wind. Da die Tannen auf den Ästen Schnee an zu setzen begannen, glaubten wir dem Wetterbericht doch noch, der über Nacht einen Grossschneefall angekündigt hatte und freuten uns auf den Pulver am Folgetag.
Dienstag
Leider hatten wir schon am Vorabend feststellen müssen, dass der Grossschneefall noch auf sich warten liess. Es windete in der Höhe zwar noch, aber die Temperaturen waren nicht sonderlich kalt und es hatte wenig Neuschnee gegeben. Wir entschlossen uns deshalb einen Versuch auf den südlich von La Fouly liegenden Grenzgipfel Tête de Ferret zu machen. Der Anmarsch auf der frisch gespurten Langlaufloipe Richtung Ferret war gemütlich. Aber kaum stiegen wir Richtung Cretté de la Gouille auf, begann es zu stürmen. Der Sturm nahm an Stärke zu, je höher wir aufstiegen. Auf etwa 1880m, im Schutze einer Alphütte war Schluss mit Lustig. Fliegende Fellfolien und verwehte Handschuhe unterstrichen lediglich die Stärke des Sturms. Wo hingegen der Handschuh noch gerettet werden konnte, verunglimpft nun ein graues Plastikstück die schöne Landschaft des Combe des Fonds. Des einen Pech war des anderen Glück. So verlor nicht nur ich, sondern auch im Laufe der Woche noch Christoph einen Fellplastik, welches das lokale Sportgeschäft in La Fouly gerne ersetzte. Die ansteigenden Preise führten deutlich vor Augen, wie die Wirtschaft funktioniert. Hatte ich anfänglich für einen Meter noch 5 Franken bezahlt, kostete es bei Christoph gleich mehr als das Doppelte…
Wie auch immer, der Sturm nahm an diesem Tag unterhalb der Waldgrenze massiv ab, weshalb wir beschlossen, eine zweite und eine dritte Abfahrt mit jeweils vorgängigem Aufstieg an zu hängen. Nach der dritten Abfahrt jedoch überzog sich der Himmel in windeseile, was angesichts der enormen Höhenwinde auch nicht unerwartet kam. Beim Graben eines Minirutschblocks nach der letzten Abfahrt sahen wir sogar noch zwei Steinadler am grauen Himmel segeln. Den Tourentag beendeten wir deshalb mit neuen Erkenntnissen, was die Schnee-Zusammensetzung und -Schichtung anbelangte. Den ursprünglich für den Vortag angekündigten Grossschneefall sollte angeblich in dieser Nacht nachgereicht werden. Wir waren also für den Mittwoch voller Hoffnung auf Powderabfahrten.
Mittwoch
Die Temperaturen waren in der Nacht stark gesunken, es hatte kräftig geschneit und der kommende Tag versprach mit leichten Aufhellungen ganz akzeptabel zu werden. Da aber der gefallene Schnee mit den stürmischen Winden massiv verfrachtet wurde und das Lawinenbulletin zwischen Stufe 3 und 4 pendelte, beschlossen wir, den Tag zur Verbesserung unser Skitechnik zu nutzen und eine Tageskarte im Skigebiet von La Fouly zu lösen. Der Neuschnee versprach ein paar Kurven im ungepisteten Gelände. Zudem konnten wir von Thomas Erfahrung im freien Skifahren, zu Neudeutsch Freeriden, profitieren. Diejenigen von uns, welche die Gelegenheit nutzten und ein paar Skier von Thomas testeten, die er zusätzlich mitgebracht hatte, kamen in den Genuss von handgemachten Skiern oder gegenüber den Eigenen deutlich moderneren und breiteren Latten. Die meisten von uns hatten damit Erfolg. Bei mir jedoch konkurrierten sich Gewohnheit gegen neue Skier, Bindung und Schuhe. Diese für mich ungute Mischung veranlasste mich dann zwei Abfahrten aus zu setzen und wieder meine angestammten Latten mit den gewohnten Schuhen im Hotel zu holen. Annemarie und Christoph jedoch, die beide schon pinbindungstaugliche Schuhe hatten, liessen sich mit dem Skiwechsel zu Höchstformen auflaufen. So nutze dann der harte Kern der Gruppe den Tag bis zur letzten Bergfahrt des Skilifts. Nach bestandener, allerletzten Abfahrt durch den Wald, gesellten sich dann auch diese zu den anderen, die sich im nahe gelegenen Restaurant eingefunden hatten.
Donnerstag
Der an den Vortagen gefallene, trockene Neuschnee veranlasste uns den wunderschönen, wolkenlosen Morgen zu nutzen und mit einer Alpentaxi Verschiebung nach Bourg St. Pierre eine neue Gegend zu erschliessen. Die morgendliche Abfahrt auf der ungeräumten Fahrstrasse an den Bach hinunter zur Pont de Tsarevesse liess unbedeckte Ohren anfrieren. In diesem schattigen Tal war es während der letzten zwei Tage schon so kalt geworden, dass der kleine Bach entlang des Gegenaufstiegs begonnen hatte zu zu gefrieren. Aus dem Schatten aufgetaucht, wurde es dann in den anschliessenden, baumlosen Osthängen schon bald recht warm beim Spuren und Aufsteigen. Ein Wummgeräusch in Form eines ohrenbetäubenden Knalls auf etwa 1950m an einem Grabenrand veranschaulichte uns aber mehr als nur eindrücklich, dass der kritische Bereich im Übergang von wenig zu viel Schnee nach wie vor sehr heikel ist. Die Setzung der Schneedecke nach dem Wummgeräusch löste zum Glück das Schneebrett, das, falls es abgegangen wäre, sich hoffentlich in den Graben ergossen hätte, zu unserem Erstaunen nicht aus, und somit blieb dieses hängen wo es schon vorher lag.
Der anschliessende Aufstieg über Champ Long bis auf den Gipfel Crêta de Vella gestaltete sich sehr abwechslungsreich. Einerseits hatte sich der Tourenleiter auch endlich mal unfreiwillig in den Schnee geworfen und das in einer kleinen Abfahrt mit den Fellen und offener Bindung, wobei auch der Rest seiner Bekleidung mehr oder weniger offen war. Im folgenden Südosthang jedoch überzog sich der Himmel wieder mit hohen Wolken und damit sank die Temperatur schlagartig in Richtung „ungemütlich“. Somit mussten sich die Ersten, die den Gipfel erreichten warm einpacken, bis wir alle zusammen auf dem herrlichen Aussichtsberg anlangten. Leider konnten wir im scharfen Wind die Aussicht auf die tollen Chamonixer Berge, z.B. die schaurig schöne Nordwand des Grandes Jorasses, kaum recht geniessen.
Zum Glück aber klarte der Himmel in der Abfahrt nochmals ein wenig auf und somit hatten wir Sonnenschein anlässlich der herrlichen Pulverabfahrt zurück nach Bourg St. Pierre. Das Licht war sogar so schön, dass meine Kamera beim Fotografieren der rasanten Skifahrer und Skifahrerinnen an ihre Grenzen stiess. Die Bilder jedoch wurden ganz anständig, wie die Galerie hier zeigt.
Freitag
Wie schon der Donnerstag begann der Tag recht sonnig. Nur das im Speisesaal anlässlich des Morgenessens bewunderte Morgenrot am Glacier de l’A Neuve dauerte an diesem Tag nur halb so lang und erlosch dann abrupt. Die nächste Wetterfront, die uns im Laufe des Morgens auf dem Weg zum Le Chardonnet erreichen sollte, war schon im Anmarsch. Der Aufstieg bis etwa 1950m im Combe des Fonds war noch recht gemütlich, aber um etwa 11 Uhr ging es mit einer Windböe, welche einige von uns im Aufstieg stürzen liess, so richtig los. Nach einer kurzen Abschwächung des Schneesturmes, fing es an zu schneien, wie es sich nur unverbesserliche Skifahrer wünschen können. Inzwischen war der Beschluss eindeutig zur Umkehr in Richtung La Fouly gefallen und als wir im warmen Hotel zurück waren, liess sich dem kräftig herumgewirbelden Schneefall von drinnen sehr gemütlich zusehen. Obwohl uns Richard und Eveline schon etwas früher verlassen hatten, wurde um die Mittagszeit einstimmig der Beschluss gefällt, dass ein gemeinsames Fondue angesichts des Schneesturmes eindeutig das Richtige zum Abschliessen der Tourenwoche sei.
Somit beendeten wir eine sehr abwechslungsreiche Tourenwoche im westlichen Wallis, die eigentlich im Südtirol geplant war!
Herzlichen Dank für’s engagierte Mitmachen: Richard, Christoph, Andrea (Fotos), Eveline, Kathrin, Annemarie, Jörg, Margrit und Thomas unser Bergführer
Text, Fotos und Tourenleitung Dominik
⇐