Zuerst ein mail von unserm Korsarenchef, er ist gerade zurück gesegelt vom Monarchengebiet – es apere aus. Dann Mittwoch abends vor der HTW ein Funk von Ralf, unserm Guide. Der Zufall wollte es, dass er mit zweien meiner Stammmatrosen auch dort war. Sie sind einen Tag früher zurück gekommen – viele Übergänge nicht mehr möglich – er hätte morgen Zeit, etwas rum zu telefonieren. Donnerstag mittags ein SMS ins Büro: Berner Hochland und Bernina seien gut. Vom Rochefort- zum Biancograt? – warum nicht! – zumal ich dort eh gleich ne Tourenwoche im Köcher habe und im Hochland fällt mir kein vergleichbarer Grat ein – Ralf ist begeistert.
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Anreise
23.08.09
Es gibt ein gewisses Alter, da glaubt man, nun darf man das Ferdekütschchen von Pontressina zum Hotel Roseg nehmen, dann kommt ein gewisses Alter, da meint man, man sollte es besser nicht nehmen! Andrea und Jörg machen einen Kompromiss, schicken die Säcke ins Kütschchen und machen sich auf die Füsschen. Ralf läuft eh genug, Harald hat noch Fastkinder am Hals und ich bin ne fuuli Sau.
Auf der Sonnenterrasse des Hotels können wir den morgigen, etwas ungewöhnlichen Hüttenweg studieren. Traumwetter und Traumcapuns – nur meine MitstreiterInnen sind schockiert ab der Ungrösse des Tellers – was die Menuwahl beim Abendbrot etwas erschwert. Ich nehme Tschierva.
Piz Tschierva
24.08.09
Rechts des rauschenden Bachs über Blöcke hoch in finsterer Nacht. Allmählich wird das Material unter den Füssen etwas weicher – Rasenpolster – seit langem von Menschen unberührt. Es dämmert und wir sehen Jörg gestützt auf ein prima vista banales Arvenstöckchen. Im Verlauf der Woche sollte es sich jedoch als Meister der weissen Magie erweisen!
Mit unglaublich selten schönem Blick ins Ende des Val Roseg erreichen wir das Geröllmüldchen, wo vor 10 Jahren die zerbrochene Flasche Wein lag. Wir blicken die Flanke hoch – was für eine Steinwüste. Plötzlich bewegt sich links oben etwas – nein, nein, keine Gämse, sondern das Tier unseres Berges. Trotz dem Schatten erkennt Jörg (dank seinem Zauberstab), dass es sechs Sprossen am Geweih trägt.
Irgend wann aagschirre und endlich stehen wir auf dem WNW-Grat in der Sonne. Nach anregender Blockkletterei dann auf dem Gipfel. Selten gesehenes Panorama. Ich frage mich, ob in den letzten zehn Jahren hier überhaupt wieder ein Mensch durchgekommen ist.
Um 18.00h, vor dem Znacht, Besprechung des morgigen Tages. Das wird sich ab nun einbürgern.
Piz Roseg
25.08.09
Der üble Reigen des Dreiuhraufstehens Viertelvorvieraufbrechens nimmt seinen Fortgang. Gestern beschlossen wir einstimmig, den Roseg in Angriff zu nehmen, da noch Niemand von uns (ausser Ralf natürlich) auf dem Gipfel war. Über das Rumstolpernimdunkeln verlier ich besser keine weiteren Worte ausser das es erträglich war. Jörg deponiert sein Zauberstöckchen beim Betreten des Gletschers und ich bin gespannt auf den richtigen Weg über den Eselsgrat. Toller Fels, wenige Stellen bis 4, die zweite Hälfte erkenn ich wieder. Wohlverdiente Vesper beim Wiederbetreten des Firns, diesmal in der Sonne. Der Rest reiner Genuss, ausser für Harald, der wenige Wochen vorher im nahen Osten trainiert hat. Auf dem Skigipfel weist uns Ralf auf den äusserst interessanten Westgrat hin – das sei was für Aspiranten. Ich glaube, nicht nur ich bin froh, bloss ein Genussbergsteigerlein zu sein. Um dem treu zu bleiben, verzichten wir natürlich auf den Hauptgipfel.
Beim Abseilen über die Flanke der Crasta erkenn ich in etwa, wo wir damals hoch geklettert sind. Das Schründchen am Schluss sieht zwar listig aus, erweist sich aber als moderat. Trotzdem ist der Warteplatz in gebührendem Abstand angesagt. Graue Striemen, Steine und Eisblöcke verweisen auf deftige Ohrfeigen.
Schon um vier in der Hütte bei Bier und so, für uns ungewohnt.
Ruhetag
26.08.09
Noch ungewohnter auf meinen HTW’s: ein Ruhetag! Zugegeben, Petrus hat etwas nachgeholfen. Logischerweise wäre ja heute der Scerscen auf dem Programm gewesen, aber wir konnten ruhig ausschlafen, da wir gestern das Meteo aufmerksam studiert hatten.
Keiner trauert dem abweisenden Kerl nach und so gibt’s nach dem Zmorgä etwas Ausbildung mit der Karte, um Mittag blinzelt wieder die Sonne und so üben wir etwas Kanadier und doppelte Flachenzüge auf dem aperen Gletscher. Die Spaltenopfer sind diesmal zwei mit Steinen gefüllte Rucksäcke.
Die 18Uhr Besprechung erübrigt sich fast, uns ziehts nach Italien, Petrus scheint einverstanden.
Biancograt
27.08.09
Leider wieder der üble Reigen... Das Weglein ist wenigsten gut und noch besser das Gletschervorfeld. Im Gegensatz von vorm Jahr laufen wir bei Dämmerung über Firn. Erst das Schründchen vor dem Klettersteig zur Prievlusa weckt Jörg. Komischerweise steigen die meisten Andern das üble Gerümpel links hoch.
Von Westen nähert sich ne graue Bank und Ralf ruft seinen persönlichen Metrologen an – das sei vorbei in ein bis zwei Stunden. Vorbei ist’s auch mit Jörgs Zauberstäbchen: als er dieses auf den Rucksack binden will, meint Ralf trocken: lass es besser stehen, Verletzungsgefahr für Andrea. Wir witzeln dann, er soll doch n’Inserat unter der Rubrik „Verloren“ in die Alpen stellen.
Ich staune einmal mehr, wie schön die Kletterei über das Felsköpfchen nach der Fuorcla ist. Weniger schön dann die Querung im Blankeis unter dem folgenden Felsdreieck – verdammt hart, das Eis. Sogar das sicherungsmuffelige Gloisi dreht hier noch ein zusätzliches Schräubchen.
Jetzt stehen wir auf der schönen weissen Schlange. Etwas weiter oben ne Steilstelle, Gloisi dreht ne Zwischensicherung, 4m weiter oben kommt die Schraube von Ralf - bisch blind, du Depp?
Aber Harald beginnt offensichtlich wieder unter seinem Nahosttraining zu leiden. Das weisse Wunder ist heuer etwas vereister als auch und als er mal sein Steigeisen nach innen kippt, erwache ich aus meiner soeben begonnen Meditation und sehe uns im Geiste übel abflattern. „Näi, dr Biggel bruuchsch do nit, numme d’Fiess. Diä ganzi Sohle ufsetzä und numme mit em Gliichgwicht schaffe. Und usem Gliichgwicht muesch in Rytmos cho und us däm in d’Medidation.“
Ich behalte mein bestes plüschologisch-spirituelles Register offen... Piz Alf erreicht, der Fels aper – das wird ein Spass! Die Seilschaften vor uns schon fast am Gipfel, die hinter uns am Piz Bianco – kein Stau, kein Stress. Harald, nun wieder mit festem Boden unter den Füssen, übernimmt die Führung in unserer Seilschaft, ich krabble entspannt nach. Wir seilen nirgends ab und stehen um Halb Zwölf auf dem Gipfel. Einmal mehr hat’s zu quellen begonnen und das Panorama nach Süden ist versaut. Der Spalagrat brilliert auch mit Blankeis und nach dem Gerümpel des SO-Grates taucht die Marco e Rosa aus dem Nebel auf. Viva Italia!
Prima e Secunda Piatta, der Kaffee und andere Säfte... und dann noch die knackigen Pinup-Girls an den Wänden – absolut nicht SAC-konform – aber herrlich.
Piz Zupo – Bellavista
28.08.09
Der Capo di Capanna, ein origineller Althippi, hält nichts vom Frühaufstehen – ersten Kaffee gibt’s um Fünf. Gloisi, noch reichlich belämmert vom Fest des Vorabends, sucht in der halben Hütte sein Nessessaire, wo die zweiten Augen schlummern. Es liegt auf der Brüstung neben der Tür zu den Schlafräumen, fast unter dem Pin-Up – langt gerade noch für den Kaffee.
Die Massen strömen dem Palü entgegen, wir biegen nach der Crast Agüzza rechts ab und sind allein. Natürlich haben wir gestern in der Sächsisitzig beschlossen, das Traumdreigestirn der Grosskantönler aus zu lassen. Ein gottverboten schöner Morgen. Vom Sattel zwischen Argient und Zupo ein leichter Blockgrat und wir sind oben. Drüben auf der Bellavista ne einsame Geniesserseilschft. Weiter über den herrlichen Grat, meist Gehgelände, ab und zu brauchts das Händchen. Ich träume vom Baggersee und vom vög... äh, meine niedere Natur dominiert mich auf dem hohen Grat – aber nur heute. Sind das die Nachwirkungen der bösen Hütte?
Gemütlichste Gletscherwanderung zur Fortezza, hier wieder etwas Arbeit, schliesslich wandern wir beschaulich über die Gletscherzunge des Vadret da Morteratsch zur gleichnamigen Station. Wir haben noch ne Dreiviertelstunde Zeit, bis das Bähnli kommt. Das reicht für Capuns.
Lieber Ralf, herzlichen Dank für die kompetente Führung
liebe Andrea, lieber Harald und Jörg, auch besten Dank, dass ihr so toll mitgearbeitet habt!
Das motiviert mich für ne weitere HTW.
Text und Bildredaktion: Rolf Glauser
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